Ein Sprung in die Vergangenheit

Bad Lippspringe, Spätsommer 2010.

Vor ein paar Wochen hatte ich eine neue Übung entdeckt: rhythmisches Atmen kombiniert mit dem bewussten Verlassen des physischen Körpers – eine Art astrale Dissoziation während des Gehens. Seitdem praktizierte ich sie fast täglich auf meinen Spaziergängen. Ich wählte immer Wege, auf denen ich ungestört bleiben konnte, denn wenn ich einmal etwas angefangen hatte, gab ich nicht eher auf, bis ich das Gefühl hatte, es wirklich verstanden zu haben. Die Übung selbst war denkbar einfach: Vier Schritte einatmen, vier Schritte die Luft anhalten, vier Schritte ausatmen, vier Schritte mit leerer Lunge gehen – und das immer wieder. Sobald sich eine innere Ruhe einstellte und das Bewusstsein leicht verändert war, sollte man den Körper weitergehen lassen und selbst ein paar Schritte „hinter“ ihm bleiben, ihn wie von außen beobachten. Natürlich nur auf sicheren, autofreien Wegen. Meistens nahm ich die Straße, die direkt von unserem Haus ins offene Feld führte, oder ich ging durch den großen Park in die Stadt und wieder zurück. Unser Haus lag günstig – fast am Ende der letzten Straße vor den Feldern –, sodass ich sofort nach dem Verlassen der Wohnung beginnen konnte.

An jenem Tag entschied ich mich für den Parkweg: hin zur Stadt und gleich wieder zurück. Alles lief wunderbar. Die Übung vertiefte sich, ich fühlte mich ruhig und klar, und der Körper ging fast von allein. Zufrieden verließ ich den Park an der gewohnten Stelle – und blieb abrupt stehen.

Etwas stimmte nicht.

Vor mir lag eine Straße, ja – aber nicht meine Straße. Statt der üblichen dicht aneinandergereihten Familienhäuser sah ich nur vereinzelte Gebäude, eher Bauernhöfe mit großen Scheunen. Links von mir erstreckte sich eine weite Wiese, hoch überwuchert mit Unkraut. Kein Bürgersteig, keine Laternen, keine gepflegten Vorgärten. Die Gegend kam mir völlig fremd vor.

„Wo bin ich?“, flüsterte ich.

Angst kroch in mir hoch, drohte zur Panik zu werden. Hatte ich mich verlaufen? War ich desorientiert? Hatte ich den Verstand verloren? Wie sollte ich je nach Hause finden?

Dann zwang ich mich zur Ruhe: „Ljubica, ganz ruhig. Suche nach etwas Bekanntem. Ziehe Parallelen zwischen dem, was du jetzt siehst, und dem, was du kennst.

“Das half. Ein Ziel zu haben, gab mir Halt. Die Straße, die ich kannte, führte nach dem Park direkt in Richtung Felder – genau wie diese hier. Auch sie verlief parallel zu meiner Wohnstraße. Wenn ich nur den Abzweig nach links finden könnteâ€â€¦

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